„Der Sport hat sehr gelitten" Interview mit FTTB Präsident Tobias Genz

Geschrieben am 23.01.2021

Bremens Tischtennis Präsident Tobias Genz äußert sich im Gespräch etwa über die aktuelle Stimmung in den Bremer Vereinen, Tischtennis in Coronazeiten und eine Großveranstaltung in der ÖVB Arena.

 

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, der FTTB wird in diesem Monat ja 70 Jahre alt. Wie geht es dem Verband als Geburtstagskind, 70 Kerzen auf der Torte sind ja eine ganze Menge?

 

Vielen Dank! Natürlich hätten wir uns für dieses Jubiläum einen anderen Rahmen gewünscht. Damit sind wir jedoch in diesen Zeiten wohl nicht alleine. Trotzdem sind wir natürlich froh, dass es uns schon so lange als selbstständigen und unabhängigen Verband gibt und, um die eigentliche Frage zu beantworten, es geht uns gut!

 

Das vergangene Jahr 2020 war für Sie durch die Covid-19 Epidemie sicherlich auch ein ganz besonderes Jahr. Mal durch die Präsidentenbrille geschaut: Wie sieht der sportliche Tischtennis-Jahresrückblick für den Bremer Verband aus?

 

Aus sportlicher Sicht ist der Jahresrückblick natürlich sehr ernüchternd, es ist nun die zweite Saison die wir leider nicht zu Ende spielen können, auch der individual Spielbetrieb hat natürlich sehr gelitten, es mussten zahlreiche Veranstaltungen abgesagt werden.

 

Corona ist das bestimmende Thema unserer Zeit. Welche „Verwüstungen“ hat dieser Virus bisher im FTTB verursacht?

 

Von „Verwüstungen“ würde ich hier nicht sprechen, wir sind natürlich wie jeder andere Sportverband auch, massiv von sämtlichen Einschränkungen betroffen, gleichzeitig bin ich der Meinung, dass wir diese Herausforderung gut gemanagt, sowie auch jeweils rechtzeitig kommuniziert haben.

 

Wozu führten die Absagen aller Turniere, Ranglisten und Meisterschaftsspiele im Verband, schließlich sind solche Veranstaltungen, in denen sich die Sportler messen können, ja das Salz in der Suppe?

 

Natürlich hat es bei vielen aktiven Sportlern für sehr große Enttäuschung gesorgt, letztendlich dürfte jedoch inzwischen allen bewusst sein, dass dies außerhalb unseres direkten Einflussbereichs liegt.

 

Der Spielbetrieb ist ausgesetzt worden, die Turnhallen sind geschlossen. Wie groß sind die Befürchtungen, dass Tischtennisspieler, ob jung oder alt, entwöhnt werden und sich von ihrem Sport abwenden und nicht mehr zum Schläger greifen?

 

Das ist natürlich ein Risiko, das wir derzeit leider noch nicht genau abschätzen können. Momentan zieht es die Leute natürlich eher nach draußen, als in irgendwelche Sporthallen. Natürlich hoffen wir, dass die „Aussteigerquote“ möglichst gering ausfallen wird. Gleichzeitig bin ich jedoch sehr positiv, dass auch viele Sehnsucht haben und sich darauf, dass es irgendwann wieder los geht!

 

Ein großes Thema im FTTB dürfte sicherlich der Rückgang unserer Nachwuchsspieler sein, wie auch in ganz Deutschland. 30 % der Kinder und Jugendliche wurden im FTTB in fünf Jahren verloren, was wird sich tun und welche Hoffnungen gelten für die Zukunft?

 

Das Angebot an Alternativen zur Freizeitgestaltung nimmt von Jahr zu Jahr zu, somit wird der Wettbewerb größer. Nichtsdestotrotz bleiben wir natürlich nicht untätig, so hat sich im Sommer ein fast komplett neuer Jugendausschuss formiert, der sich das Ziel Jugendgewinnung zur Aufgabe gesetzt hat.

 

Wie groß sind die Befürchtungen, dass die Kinder nach der Epidemie nicht wieder zum Tischtennis gehen? Ein ganzes Jahr ist für Kinder ja bereits ein großer Teil ihres Lebens.

 

Hier gehen wir davon aus, dass (zumindest die gut organisierten) Vereine auch während der Pandemie den Kontakt zu den Kindern halten, im Zeitalter von div. Messenger wie WhatsApp & Co sollte es auch möglich sein außerhalb der Halle zu kommunizieren. Natürlich bleiben die grundsätzlichen Befürchtungen für einen Rückgang aber auch hier im Hinterkopf.

 

Und Mädchen für den Tischtennissport zu begeistern, scheint besonders schwierig zu sein?

 

Auch dieser Herausforderung stellen wir uns und haben im Sommer beim Jugendverbandstag eine neue Beauftragte für den Mädchensport gewählt.

 

Wir befinden uns bereits im elften Monat der Pandemie, Zeit für einen Rückblick: Welche besonderen Momente aus dieser Krisenzeit stellten für die Verbandsarbeit besondere Herausforderungen dar?

 

Die herausfordernde Zeit waren vor allem die ersten Tage, wir haben relativ schnell auf den Ausbrauch des Virus reagiert, sowohl in Bezug auf Tischtennis Deutschland, als auch in Bezug auf den Sport in Bremen. Die Kritik in den ersten paar Tagen, resp. Stunden war enorm! Es gab sehr großes Unverständnis und Entsetzen. Rückwirkend betrachtet würde sicherlich niemand mehr unsere Entscheidung kritisieren, jedoch waren gerade diese Diskussion am Anfang sehr herausfordernd, nicht überall konnte man unsere Entscheidung nachvollziehen. Nach elf Monaten hat sich das jedoch inzwischen sehr gut eingespielt.

 

Man könnte fast meinen, dass die Mitarbeiter im FTTB in dieser stillen Sportzeit auch weniger zu tun haben, oder veränderten sich nur die Aufgaben? Wie sieht die Zusammenarbeit im Gremium im Alltag aus? Die Durchführung des FTTB Verbandstages war unter Corona-Bedingungen sicherlich eine besondere Herausforderung?

 

Grundsätzlich ist es natürlich schon etwas ruhiger geworden. Man versucht sich den neuen Herausforderungen anzupassen und sich zu arrangieren, dies geschieht mit Hilfe von modernen Kommunikationstools. Heute sind die meisten Menschen ja sowieso permanent online und es ist einfacher als noch vor z.B. 10, 20, 30 oder sogar 70 Jahren sich abzustimmen. Bei unserem Verbandstag hatten wir Glück, dass dieser im Sommer in eine Zeit fiel, in der der Inzidenzwert gerade sehr niedrig war. Wir konnten diesen ganz konservativ, live abhalten, unser Vizepräsident Patrick hat im Veranstaltungssaal extra sämtliche Abstände abgemessen und wir hatten ein entsprechendes Hygienekonzept (Maske, Desinfizieren etc.). Fast alle Vereine und Amtsinhaber waren anwesend, die Rückmeldung war sehr positiv und jeder hat sich an die auferlegten Regeln gehalten, so dass die Durchführung hier überraschend positiv war.

 

Der FTTB entschloss sich zu Beginn der Saison, die Meisterschaftsspiele in Bremen mit Doppeln spielen zu lassen, im Gegensatz zu anderen Landesverbänden, wie etwa in Niedersachsen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

 

Wahrscheinlich war es der Optimismus der uns dazu getrieben hat, genau der gleiche, der uns überhaupt hat die Saison starten lassen. Die Diskussionen ob mit Doppel oder ohne Doppel waren sehr müßig. Meine Meinung damals, die sich rückwirkend auch bestätigt hat, es macht keinen Unterschied. Sobald eine zweite Welle kommt, und die kam ja bekanntermaßen, wird sowieso komplett abgebrochen.

 

Wie groß ist denn der Leidensdruck in Corona-Zeiten bei den Vereinen in Bremen? Ist bekannt, ob schon Tischtennisspieler wegen fehlender sportlicher Möglichkeiten aus den Vereinen ausgetreten sind? Mit welchen besonderen Aufgaben sehen sich die Vereine konfrontiert?

 

Der grundsätzliche Leidensdruck bezogen auf Tischtennis ist sicherlich hoch, genauso wie bei allen anderen Freizeitaktivitäten auch. Ob wirklich Menschen derzeit aus den Vereinen austreten ist mir noch nicht bekannt, ich gehe eher davon aus, dass die Vorfreude für einen Wiedereinstieg siegt! Sicherlich gibt es eine normale Fluktuation, es gibt Interessenverschiebungen bei den aktiven Spielern und man sucht sich andere Hobbys. Die wahre Herausforderung ist es in der Pandemie im Rahmen der Fluktuation wieder „aufzufüllen“ und neue Menschen für unseren wunderbaren Sport zu begeistern. Dadurch kann es bedauerlicherweise schon zu Rückgängen bei den Mitgliederzahlen innerhalb der Vereine kommen.

 

Welche Anfragen, Rückmeldungen, Bedenken erreichen Sie im Präsidium aus den Vereinen, wie ist die Stimmung an der Basis?

 

Die Stimmung ist sehr gemischt, auf der einen Seite möchten viele unbedingt wieder aktiv Tischtennis spielen. Für mein Empfinden unverständlicherweise, erreichen uns doch regelmäßig noch Anfragen wann es denn nun wieder losgeht. Mit etwas gesundem Menschenverstand kann ich dann auch immer nur auf die aktuellen Nachrichten hinweise.
Auf der anderen Seite haben wir uns im Sommer stark dafür eingesetzt, dass die Sporthallen wieder geöffnet werden und Tischtennis möglich ist. Gleichzeitig gab es jedoch auch für den Saisonstart viel negative Kritik, die Menschen waren immer noch unsicher, ob es Sinn ergibt. Aus heutiger Sicht auf jeden Fall nachvollziehbar. Grundsätzlich scheint die Tischtenniswelt (zurecht) gerade etwas gespalten zu sein, die einen wollen unbedingt und die anderen sind lieber vorsichtig.

 

Sind alternative Möglichkeiten und Aktionen zum aktiven Tischtennissport aus den Vereinen bekannt, um die Mitglieder "bei der Stange zu halten"?

 

Nach meinem Kenntnisstand gibt es z.B. diverse Fitnessalternativen und einige Vereine versuchen mit sogenannten Home-Workouts ihre Mitglieder bei Bewegung zu halten. Allerdings ist Individualsport unter strengen Auflagen, zu zweit auch erlaubt! Einige Vereine nutzen diese Möglichkeit.

 

Sie selber sind ja auch bei TURA Bremen aktiv, wie ist die Lage in Ihrem Verein?

 

Wir haben das Glück über mehrere Hallen und IT-affine Mitglieder zu verfügen. Gleich zu Beginn des zweiten Lockdowns hat eines unserer Mitglieder ein Buchungstool programmiert, welches es ermöglicht sich zu zweit ein Zeitfenster in der Sporthalle zu buchen. Natürlich würde vorab ein entsprechendes Hygienekonzept erstellt, welches Lüften, das Desinfizieren der Tische nach Nutzung etc. beinhaltet. So hat man bei uns zumindest einmal die Woche für eine Stunde die Möglichkeit sich weiterhin zu bewegen.

 

Es ist auch überregional die Rede vom Mitgliederschwund in den Vereinen. Wie sieht die Tendenz im FTTB aus, wie viele Vereine und Mitglieder zählt der Verband zur Zeit?

 

Zuletzt hatten wir 35 Vereine, aktuell sind es aufgrund von Fusionen nur noch 34 Vereine. Die wichtige Kennziffer für uns ist immer die Anzahl der Mannschaften, leider ist diese in den letzten Jahren auch bei uns runtergegangen. Hier kommen wir in Summe, Herren, Damen, Nachwuchs & Senioren auf knapp 200 Mannschaften. Die Anzahl der aktiven Tischtennisspieler ist für uns immer schwer zu erfassen, da es in vielen Vereinen auch immer noch sehr viele ambitionierte Hobbyspieler ohne Lizenz gibt, da diese nicht am Wettkampfbetrieb teilnehmen, dennoch aber natürlich eine Vereinsmitgliedschaft haben. Von daher schwankt die Summe der Tischtennisspieler – je nach Perspektive – zwischen 2.000 – 3.000.

 

Auch bei den Frauen gehen die Meldungen zurück, in der einzigen Bremer Liga starten nur sieben Mannschaften. Wie ist der Rückgang bei den Frauen zu erklären?

 

Die Gesamtmeldung bei den Damen geht im Dreijahresvergleich nicht zurück. Wir haben auch einige Damenmannschaften die überregional mitspielen – die darf man nicht vergessen! Sowie viele weitere Damen, die am normalen Herren-/Erwachsenenspielbetrieb teilnehmen. Jedoch stagniert die Gesamtanzahl der aktiven Damen leider auf sehr geringem Niveau.

 

Ist es Teil einer Lösung, wenn Frauen nun auch in den Männermannschaften mitspielen können?

 

Diese Fragestellung gab es schon des Öfteren. Ich habe schon sehr lebhafte Diskussionen und spannende Argumente für beide Perspektiven erlebt. Jedoch siegt hier sicherlich das individuelle Empfinden des einzelnen Individuums und es gibt hier meiner Meinung nach keine Lösung die alle zufriedenstellt.

 

In diesem Jahr wird auch der ganz große Sport wieder einmal nach Bremen kommen, die Nationalen Deutschen Meisterschaften finden erstmals am 28.09.2021 in der ÖVB Arena statt. Wie genau kam es zu dieser Vergabe, was darf sich Bremen davon erhoffen?

 

Normalerweise finden die Nationalen Deutschen Meisterschaften immer im März statt, dass eine Durchführung zum geplanten Zeitpunkt dieses Jahr nicht möglich ist, wurde relativ schnell klar. Durch die Verschiebung stand der ursprünglich geplante Veranstaltungsort nicht mehr zur Verfügung.
Bremen ist routiniert und erfahren in Bezug auf Tischtennis Großveranstaltungen, aus der offiziellen Pressemitteilung ist zu entnehmen: „Herausragendes Pflaster für den Tischtennissport“, sowie „Professionelle Partner, vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Ich denke alleine diese beiden Zitate sprechen für sich.

 

Wagen Sie bitte eine Prognose: Wann können wir in Bremen wieder wie in „alten Zeiten" in die Sporthallen gehen und unseren Sport unter gewohnten Bedingungen ausüben?

 

Wie oben schon erwähnt bin ich kein Freund davon solche Aussagen zu treffen. Letztendlich sind wir doch alle „pandemische Laien“. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass wir mit den Impfungen – und dies ist das einzige wirksame Mittel gegen ein Virus, schnell vorankommen werden. Bis wir jedoch wieder zum Alltag zurückkehren werden, wird es sicherlich noch einige Monate dauern. 

 

Nun ist also der Bremer Tischtennisverband 70 Jahre alt, was darf in den kommenden 70 Jahren erwartet werden?

 

Um die Frage zu beantworten sei mir ein Blick in die Vergangenheit erlaubt, meine Vorgänger haben den Verband zu dem gemacht was er heute ist, ein erfolgreicher Sportverband, der nun seit 70 Jahren bestens organisierten Sport auf die Beine stellt. Dafür kann man sich nicht häufig genug bedanken. Natürlich gab es innerhalb des Verbands auch Zeiten und Jahre mit etlichen Herausforderungen; finanzielle Probleme, Unterschlagungen, Gerichtsprozesse, Betrug, Entzug der Gemeinnützigkeit, etc.
Letzteres sind Themen die ich mir für die nächsten 70 Jahre nicht mehr wieder wünsche.
Ich wünsche mir genau das, was unseren Verband auszeichnet; positiver Aktivismus! Aktuell haben wir sehr viele engagierte Leute im Verband. Eine Truppe mit einer grundsätzlich zielstrebigen Einstellung. Mit dem guten Team um mich herum gehe ich davon aus, dass wir auch in den nächsten 70 Jahren noch erfolgreich, bestens organisierten Tischtennissport bei uns in Bremen erleben werden.

Vielen Dank für das interview!

Die Fragen stellte Burkhard Hünniger